Gründung und Entwicklung


Für die Einrichtung einer Tagesstätte für Wohnungslose, gab und gibt es viele gute Gründe. Für die Gründung der TASSE gab es zwei Anstöße.

Als die Vereinten Nationen 1987 zum Jahr der Menschen in Wohnungsnot erklärten, hatten die meisten der Stimmberechtigten vermutlich die riesigen Slums im Sinn, die es in vielen Ländern der Erde gibt. In der Bundesrepublik gab es aber Mitarbeitende in Hilfsorganisationen und in Kirchen, die darauf hinweisen wollten, dass es auch hierzulande Menschen gibt, die keine eigene Wohnung haben. Pastor Louis-Ferdinand von Zobeltitz, der in der Stephaniegemeinde ein Sonntagscafé für Wohnungslose gegründet hatte, hat Heide Gerstenberger vorgeschlagen, eine Stellungnahme zu dieser Problematik zu veröffentlichen. Daraus wurde dann die Denkschrift „Wie Armut entsteht und Armutsverhalten hergestellt wird. Eine Denkschrift zum UNO-Jahr für Menschen in Wohnungsnot.“ Am Zustandekommen dieser Veröffentlichung waren insgesamt 10 Menschen beteiligt, Sozialarbeitende sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Für die Denkschrift hatten Volker Busch-Geertsema und Friedrich Gerstenberger viele Notunterkünfte in Billig-Hotels und Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe in Augenschein genommen.

Der Anstoß für die Gründung

Einen sehr viel konkreten Anstoß für die Gründung der TASSE gaben die Sozialverwaltung der Stadt Bremen und die Innere Mission, als sie die „Beratungsstelle für Wohnungslose“ auflösten, die sie zuvor gemeinsam unterhalten hatten. Die Mitarbeitenden in dieser Beratungsstelle hatten sich, auch beeinflusst durch unsere Denkschrift, kritisch zu der - damals noch allgemein verfolgten - Praxis geäußert, für Menschen ohne Wohnung große Einrichtungen zu schaffen, in denen sie, wie etwa im Jakobushaus in Bremen, „wohnen lernen“ sollten. Nach der Schließung der Beratungsstelle haben frühere Mitarbeitende der Beratungsstelle und Mitarbeitende an der Denkschrift Anträge bei der Stadt Bremen auf Schaffung einer neuen Beratungsstelle (mit einer von der Verwaltung bezahlten halben Stelle) gestellt. Sie waren erfolglos. Immerhin aber hat diese Gruppe 1992 bereits einen „Leidfaden (mit D geschrieben) für Wohnungslose in Bremen“ veröffentlicht. Er enthielt u. a. Hinweise auf Rechtsansprüche und Adressen für Hilfesuchende.

Finanzierung durch private Spenden

Angeregt durch die Finanzierungspraxis von Grundschülern für eine von ihnen herausgegebene eigene Zeitung, kamen 1993 Dorothea Schmidt und Heide Gerstenberger auf die Idee, eine Tagesstätte durch private Kleinspenden zu finanzieren. Ihr erstes Flugblatt (an Nachbarinnen, Freundinnen und Freunde, Kolleginnen und Kollegen an der Universität) trug den Titel „Viele von uns haben eine schöne Wohnung, andere haben gar keine.“ Als wir 300 DM auf dem Konto hatten, haben wir uns auf die Suche nach einem Raum gemacht. Weil wir uns die zu erwartenden Probleme nicht zugetraut haben, sollte er nicht an einem Ort sein, in dessen Nähe sich viele Drogenabhängige aufhalten. In der Fleetstraße in Walle wurden wir fündig. Der Raum, den wir dort mieten konnten, war völlig heruntergekommen. Als wir zu acht auf Obstkisten auf dem Zementboden saßen und versuchten, Pläne zu machen, kam Harald Krakau mit „einem Kumpel“ und fragte, ob wir Hilfe bräuchten. Sie könnten für uns malen. Harald war als Kind in einer der inzwischen berüchtigten Napola Schulen gewesen, war dann Flieger und nach dem Krieg für viele Jahre in der französischen Fremdenlegion. Danach hat er auf der Straße in Frankreich gelebt und viel getrunken. Als wir ihn kennenlernten, war er ein aggressiver Nicht-Alkoholiker und als späterer Mitarbeiter sehr streng gegen alle, die Bier trinken wollten. Um die TASSE einzurichten, haben wir inseriert, und auch sehr schnell, Sessel, Tische und Teppiche bekommen. Es war gemütlich. Im Jahr darauf hatten wir eine Flohplage. Es war alles schwarz. Seither ist alles, was auch nur entfernt an Polster erinnert, aus der TASSE verbannt.

Eröffnung der TASSE

Eröffnet haben wir die TASSE im Oktober 1993 mit einem großen Waffelfest. Einer unserer ersten Gäste hat an der Tür gefragt „Wer ist denn hier der Kostenträger“. Ich habe ihm und allen, die später danach fragten, geantwortet: „Das sind sehr viele Bremerinnen und Bremer“. Im ersten Jahr – wir hatten eine einzige Öffnung in der Woche, reichte das Spendengeld für die Miete und für Tee und Kaffee. Weiteres haben die Mitarbeitenden für ihre Dienste selbst finanziert. Am Anfang hatten wir zwischen acht und zwanzig Gästen. Wir konnten uns also zu den Gästen an die Tische setzen und haben viele Geschichten gehört. Ich habe später dazu gekommene Mitarbeitende immer bedauert, weil sie diese Phase der TASSE nicht miterlebt haben.

Im Laufe der Zeit konnten wir zweimal, dann dreimal und schließlich viermal in der Woche öffnen – auf Wunsch der Gäste haben wir eine dieser Öffnungszeiten auf den Sonntagvormittag gelegt. Wir konnten Essen finanzieren und die TASSE weiter renovieren. Dabei wurden wir von Spenderinnen und Spendern, aber auch von Handwerkern unterstützt. Für unser erstes gemeinsames Weihnachtsfest haben wir noch einen Herd benutzt, der in einem Nebenbereich stand. Im Laufe der Zeit kamen wir zu einer Dusche, einer Waschmaschine, einer richtigen Küche samt Geschirrspülmaschine. Und in der Corona-Zeit haben es uns Spenderinnen mit einer Sonder-Aktion möglich gemacht, statt des alten Schaufensters eine ganze Fensterfront und eine Glastür einbauen zu lassen, so dass wir auch durchs Fenster Essen servieren konnten. Vor die TASSE haben wir Hocker gestellt, und gegen Regen und zu viel Sonne haben wir einen großen Schirm angeschafft. Auf diese Weise konnten wir auch in der Corona-Zeit Weihnachten zusammen feiern, und auch in diesem Jahr gab es für unsere Gäste an Weihnachten ein kleines Konzert.

Die Zusammensetzung der Gäste ändert sich

In all den Jahren hat sich die Zusammensetzung unserer Gäste geändert. Anfangs kamen viele, die jahrzehntelang berufstätig gewesen waren und dann –etwa durch die Werftenpleiten – arbeitslos geworden waren und ihre Familien verloren hatten. Später kamen zunehmend auch jungen Menschen, die noch nie im Beruf gestanden hatten, zeitweise waren viele unserer Gäste von harten Drogen abhängig. In letzter Zeit gibt es in der TASSE auch viele ausländische Gäste. Zu den Besonderheiten der TASSE zählt, dass alle diese sehr unterschiedlichen Menschen irgendwie miteinander auskommen.

Seit der Jahrtausendwende kommen mehr Menschen in die TASSE, die, durch Armut bedingt, Hunger haben. Wir haben uns darauf eingestellt, die Armut zumindest teilweise zu mildern. Damit mussten wir von unserem Gründungskonzept abweichen. Denn wir wollten ganz ausdrücklich keine Hilfen leisten, für die der Staat zuständig ist. Unser Ziel war es, Menschen, die am Rande der Gesellschaft leben, einen Ort anzubieten, an dem sie sich für ein paar Stunden in der Woche wohl fühlen können. Inzwischen ist die TASSE auch eine Versorgungseinrichtung geworden. Tröstlich ist, dass wir von unseren Gästen immer wieder aufs Neue erfahren, dass sie an der TASSE vor allem schätzen, dass man sich unterhalten kann, sich untereinander kennt, und dass man auch viele der Mitarbeitenden seit vielen Jahren kennt.

30 Jahre TASSE

Manche unserer Spenderinnen und Spendern sehen die TASSE als ein Projekt, an dem sie auch selbst beteiligt sind. Wir benutzen in der TASSE inzwischen zwar abwischbare Tischdecken, an Weihnachten aber gibt es Stoff, und an Ostern benutzen wir immer noch die Tischdecken, die uns vor Jahrzehnten eine Spenderin genäht hat, nachdem sie die Tische in der TASSE ausgemessen hatte. Zu Weihnachten gibt es immer wieder auch selbstgebackene Plätzchen und selbstgebastelten Schmuck, und das Jahr über sind Gäste begeistert über selbstgekochte Marmelade. Und die selbstgestrickten Socken, die es immer wieder gibt, finden begeisterte Aufnahme. Einmal im Jahr erhalten die Spenderinnen und Spender einen Brief, in dem über das Leben der TASSE und Erlebnisse mit einzelnen unserer Gäste berichtet wird.

Zu unserem dreißigjährigen Jubiläum im letzten Jahr haben wir auch die Spenderinnen und Spender eingeladen. Manche sind gekommen und haben mit uns einen sehr schönen Nachmittag mit Musik, ein paar kurzen Redebeiträgen und gutem Essen verbracht.

Heide Gerstenberger

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